Vor einigen Monaten hat ein Kollege in der NJW die Frage aufgeworfen, warum es keinen Nobelpreis für Juristen gibt. Womöglich, weil Jura keine Wissenschaft ist? Weil Jura nichts entdeckt, nicht der Welt des Seins, sondern des Sollens zuzurechnen ist und letztlich nur in Worte fasst, was Politiker, Philosophen, Techniker oder Kaufleute ersonnen haben? Oder würde Ihnen auf Anhieb eine juristische Errungenschaft in den Sinn kommen? Etwas, das als Kultur- oder Menschheitserbe zu qualifizieren wäre? Jherings culpa in contrahendo? Kelsens Normhierarchie? Flumes Rechtsfähigkeit der GbR?

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Gäbe es einen juristischen Nobelpreis, wäre einer der ersten Aspiranten das Volk der Maori. Von der europäischen Öffentlichkeit nur am Rande notiert, haben die Maori nach einem über 150-jährigen Kampf geschafft, dass das neuseeländische Parlament den drittgrößten Fluss des Landes in Anlehnung an das Te-Urewera-Präjudiz als juristische Person, mehr noch: als Lebewesen qualifiziert. Die Person wird durch einen zweiköpfigen Vorstand vertreten, kann Eigentum erwerben, Schulden machen und Klage erheben. Darüber hinaus wurde dem Fluss als Entschädigung für die Verletzung seiner Rechte in der Vergangenheit Schadensersatz in zweistelliger Millionenhöhe zugebilligt. Das Gebiet am Whanganui River wird von den Maori seit alters her als tapu angesehen. Die Neuseeländer spotten zwar, ob der Fluss nun wählen oder Bier trinken dürfe oder für Unfälle auf dem Wasser verantwortlich sei. Das kann aber nicht über die historische Bedeutung dieser Konstruktion hinwegtäuschen. Nur wenige Tage später erklärte der Hohe Gerichtshof von Uttarakhand im Norden Indiens unter Bezugnahme auf das neuseeländische Gesetz den Ganges und seinen Nebenfluss Yamuna zu Personen und bestimmte zu deren Schutz Vormünder. Nun muss nicht mehr bewiesen werden, dass Einleitungen gesundheitsschädlich sind, weil bereits die Einleitung als solche ein Vergehen ist. Was für eine herausragende juristische Kreativität!

Zugegeben: Wir haben in Europa den Umweltschutz, den Tierschutz, den Kulturschutz. In Deutschland haben wir das Kunststück des § 90a S. 1 BGB fertig gebracht: Tiere sind keine Sachen, unterliegen aber den für sie geltenden Regeln. Das ließe sich natürlich beliebig fortspinnen und auf Flüsse, Pflanzen oder Naturelemente erstrecken. Aber auf die Idee, andere Geschöpfe als Personen zu achten, sind wir noch nicht gekommen. In Europa scheint der Mensch immer noch das Maß aller Dinge zu sein. Vielleicht fehlt es uns auch an Spiritualität.

Das Beispiel des Whanganui zeigt, dass Wortklauberei nichts Negatives sein muss, wenn sie sich nicht im Begrifflichen erschöpft. Wenn man uns Juristen schon nicht als Wissenschaftler ansieht, möge man uns wenigstens als Künstler achten. Deshalb besteht kein Zweifel: The Oscar goes to New Zealand.

Artikel von Dr. Christian Treffer, Syndikusrechtsanwalt in Essen,
erschienen in NJW-aktuell 29/2017